Daniel Anthes aus Frankfurt liegt das Thema Nachhaltigkeit am Herzen. Man könnte auch sagen: am Gaumen. Denn nicht nur beschäftigt er sich als schreibender und Unternehmen beratender Mensch damit, sondern er braut auch eines der ersten Zero-Waste-Biere überhaupt: „Knärzje“, der im Hessischen geläufige Name des Brotlaib-Endstücks, das man anderswo als „Knust“ oder „Scherzel“ kennt. Wir sprachen mit ihm über seinen Beruf, Nachhaltigkeit in der Gastronomie nach dem Lockdown und den Wandel der Ernährungskultur.
Interview: Jan-Peter Wulf
Daniel, du bezeichnest dich als „Sustainability Ninja“. Das klingt für mich leicht konspirativ. Was macht ein Nachhaltigkeits-Ninja im Gegensatz zu einem Nachhaltigkeits-Samurai? Und wie bist du geworden, was du jetzt bist?
Nachhaltigkeits-Samurai? Gefällt mir! (lacht) Nein, im Ernst – ob Ninja oder Samurai macht wirklich erstmal keinen Unterschied. Ich hatte mir den Titel auch nicht selbst ausgedacht, sondern wurde einmal auf einem Event bei der Vorstellung so genannt, da ich mich nun schon viele Jahre für mehr Nachhaltigkeit einsetze. Und in der Tat mag dieses Engagement an manchen Tagen eher an einen Kampf erinnern, weil man einfach einen extrem langen Atem braucht. Gesamtgesellschaftliche Herausforderungen wie der fortschreitende Klimawandel und über die planetaren Grenzen hinausgehende Ressourcenverbrauch sind seit Jahrzehnten wissenschaftlicher Konsens, aber wir handeln einfach noch nicht entsprechend. Und das, obwohl die Lösungen schon auf dem Tisch liegen. Das Wissen über dieses Dilemma ist zeitweise frustrierend, hält mich aber natürlich nicht davon ab, mich tagtäglich für den Wandel in eine nachhaltigere Zukunft für uns Menschen einzusetzen. Was im Zuge des Hauptstudiums (Wirtschaftsgeographie, Anm. d. Red.) mit einer Hausarbeit über Naturressourcenmanagement anfing, zog sich dann durch meine berufliche Laufbahn: Von der NGO und Forschungseinrichtung für nachhaltige Entwicklung zum Nachhaltigkeitsbeauftragten einer größeren Unternehmensberatung, zum Klimainnovationsberater für die EU, Berater und Autor eines führenden Zukunfts-Think-Tanks bis heute zum Sozialunternehmer und freiberuflichen Redner – Nachhaltigkeit war immer die große Klammer.
Du analysierst das Thema Nachhaltigkeit auch strategisch, unter anderem als Mitarbeiter des von dir genannten Think-Tanks, dem renommierten Zukunftsinstitut. Neo-Ökologie, Nachhaltigkeit 2.0 – ein dogmenfreier „grüner“ Lebensstil – das sind Themen, mit denen sich das Institut beschäftigt, und natürlich auch in Bezug auf das Thema Essen und Ernährung. Wie hat sich das Thema aus deiner Sicht in den letzten, sagen wir, fünf Jahren entwickelt? Sind wir, auch in der Gastronomie, wirklich auf dem Weg zu einem nachhaltigen Business-Standard?
Nachhaltigkeit hat in den letzten ungemein an Fahrt aufgenommen. Nicht nur aufgrund der vermehrten Informationen bezüglich Klimawandel und Co., sondern auch aufgrund begleitender anderer gesellschaftlicher Veränderungsprozesse. Der Megatrend Neo-Ökologie – was wir mit Nachhaltigkeit meinen – wurde erst so stark, weil er von den Megatrends Gesundheit und auch Konnektivität begleitet wurde. Detoxing, Achtsamkeit und Flexitarismus sind beispielsweise aktuelle Gesundheitstrends, die natürlich auch alle unmittelbar auf die Nachhaltigkeit unserer Ernährung einzahlen. Diese entwickelt sich hierdurch nämlich immer mehr in Richtung Plant Based und Whole Foods und damit weg vom fleischüberladenen Convenience Food. Die zunehmende Vernetzung unserer Gesellschaft, zum Beispiel durch Social Networks, hat dem Veganismus ungemeinen Auftrieb verliehen und vom apologetischen Nischen- zum massentauglichen Lifestyle-Phänomen emanzipieren lassen. Und neue Technologien wie das Vertical Farming holen die Landwirtschaft zurück in die Stadt und lassen die Konsument*innen wieder einfacherer Teil der Nahrungsmittelproduktion sein. Wir leben in super spannenden Zeiten, denn der Wandel unserer Ernährungskultur vollzieht sich gerade so schnell wie noch nie zuvor. Die Gastronomie spielt an vorderster Front mit, ist sie im Vergleich zur Lebensmittelindustrie doch deutlich wandlungsfähiger. Und Befragungen bescheinigen das sowohl auf Seiten der Gäste als auch bei den Betreibern gestiegene Interesse an Themen wie Nachhaltigkeit, Regionalität und Transparenz.
Zwei Monate Lockdown liegen hinter uns. Die Gastronomie hat auf die Schließung vermehrt mit Außer-Haus-Geschäft reagiert – Nachhaltigkeit spielte beim Thema Verpackung dabei oft eine untergeordnete Rolle. Ist Einweg das neue Mehrweg oder denkst du, dass sich der Trend „beyond plastic“ dennoch weiterentwickelt?
Nein, Einweg ist sicher nicht das neue Mehrweg! Aber natürlich hat die Corona-Krise die Prioritäten der Gastronom*innen kurzfristig komplett durcheinander gewürfelt und es ging erstmal schlicht ums blanke Überleben der Betriebe. Das heißt aber eben nicht, dass Themen wie Nachhaltigkeit im Allgemeinen und Müllervermeidung, Zero Waste und Circular Design im Speziellen an Bedeutung verloren haben. Im Gegenteil: Auf Konsument*innen-Seite scheint die Krise sogar das Bedürfnis nach nachhaltigen und umweltfreundlichen Angeboten gesteigert zu haben. Die riesigen Mengen an Verpackungsmüll und die Erkenntnis, dass wir lange nicht alles erzeugte und verbrauchte Plastik auffangen und stofflich recyceln, steigert aber schon länger nicht nur den gesellschaftlichen, sondern eben auch den politischen Druck auf die Akteure und Anbieter. Seit letztem Jahr haben wir ein EU-weites Verbot von Einwegplastik, das 2021 in Kraft treten wird. Die logische Folge: Die Forschung über und die Einführung von biobasierten, biologisch-abbaubaren, 1:1 wiederverwendbaren oder komplett vermeidbaren Verpackungen wird weiter voranschreiten.
Das Zukunftsinstitut steht – soweit ich weiß – im engen Austausch mit der Politik. Wo sind deiner Meinung nach Potenziale, Hebel, aber auch Mängel, hinsichtlich einer nachhaltigen Weichenstellung, speziell was den Bereich Ernährung betrifft?
Naja, schauen wir auf unser derzeitiges Ernährungssystem, wird schnell klar: Zukunftsfähig ist dieses so nicht. Zum einen, was die Nachhaltigkeit und damit das Produzieren und Konsumieren innerhalb planetarer Grenzen anbelangt. Zum anderen wird neben der planetaren auch unsere individuelle Gesundheit, großenteils unnötigerweise, in Mitleidenschaft gezogen und Mangel- und Fehlernährung sind im Wachsen begriffen. Dabei ist es nachweislich der falsche Weg, die Verantwortung einzig und allein auf die Verbraucher*innen abzuwälzen und politisch – wenn überhaupt – nur freiwillige Maßnahmenkataloge für die Industrie zu erstellen. Um das Thema Nachhaltigkeit ernster zu nehmen, brauchen wir zuallererst echte Preise auf Lebensmittel – und damit die Internalisierung von externen Folgekosten, etwa aufgrund hohen Wasser- oder Flächenverbrauchs oder aber der CO2-Emissionen. Wir alle wissen, dass beispielsweise Fleisch viel zu billig ist. Und um unsere Gesundheit zu verbessern, brauchen wir eine effektive Ernährungsbildung. Dazu ist es notwendig, dass wir die Distanz zwischen uns und unseren Lebensmitteln wieder verringern. Kochen beziehungsweise Ernährung gehört auf die Schulpläne. Lebensmittelkennzeichnung muss lückenlos, transparent und auch verpflichtend im Hinblick auf bestimmte gesundheits- und nachhaltigkeitsrelevante Indikatoren erfolgen. Und gerade im Außer-Haus-Markt brauchen wir ein größeres Angebot an frischen und unverarbeiteten Lebensmitteln.
Du berätst Unternehmen. Nehmen wir an, dein Kunde wäre ein klassischer Restaurantbetrieb, der sich nachhaltiger positionieren will. Wie fängst du an, wie gehst du vor?
Zuallererst braucht es natürlich eine Bestandaufnahme, das heißt einen Überblick über das, was in den grundlegenden Gastronomiebereichen in Sachen Nachhaltigkeit schon unternommen wird. In der Regel zeigt sich hier schon direkt Optimierungspotenzial. Das fängt bei der Energie und dem Wechsel zu einem Ökostromanbieter sowie dem Einsatz von energiesparenden Küchengeräten und Lichtsystemen an und geht weiter über die Reduzierung des Wasserverbrauchs und Ressourcenverbrauchs, zum Beispiel in puncto Inneneinrichtung, bis zur Vermeidung von Müll, etwa durch eigene Kompostieranlagen, KI-gestützte Einkaufsplanungssoftware oder nachhaltigere Take-Away-Optionen. Neben derart grundlegenden Betriebskennzahlen der Infrastruktur ist es aber natürlich auch ganz praktisch das Angebot: Wie hoch ist der Anteil an regionalen und saisonalen Produkten an meinem Warenkorb? Wie groß ist mein vegetarisches und veganes Angebot? Und welche weiteren Möglichkeiten ergreife ich, um meine Gäste mit dem Thema Nachhaltigkeit in Berührung zu bringen? Klar ist: Es gibt viele Maßnahmen und jede einzelne macht einen Unterschied.
Und du braust auch Bier und hast mit „Knärzje“ ein Zero-Waste-Bier auf den Markt gebracht. Ein Helles, das übrigens sehr lecker schmeckt! Wie bist du darauf gekommen und wie geht das in praxi vonstatten?
Ich wusste, dass es im Ausland schon Brotbier gibt und war von Anfang an begeistert von der Idee. Irgendwann habe ich mich dann gefragt, warum sich in Deutschland noch keiner an eine Umsetzung wagt. Ich meine, wir leben im Land des Bieres und Brotes – die ganze Welt ist neidisch auf unser Handwerk in diesen Bereichen! Aber zusammengedacht und -gebracht hat es noch keiner, weshalb ich dann einfach eines Tages zu mir sagte: Wenn es sonst keiner macht, mach ich es halt eben selbst! Direkt die erste angeschriebene Brauerei fand die Idee ebenso spannend und wir unternahmen diverse Experimente. Dabei haben wir immer einen Teil des Braumalzes mit unterschiedlichem Brot ersetzt, ehe wir uns auf eine besonders rückläufige bzw. überschüssige Sorte geeinigt hatten. Schließlich geht es hier nicht nur um ein besonderes und leckeres Bier, sondern eben auch um die Reduzierung der Lebensmittelverschwendung.
Könnte man statt der Braugerste, die du zum Teil durch das alte Brot ersetzt, auch komplett Altbackenes nehmen?
Bei ungefähr einem Drittel Brot anstelle von Malz ist irgendwann „technisch“ Schluss, denn dann wird das Läutern immer schwieriger. Das Brot führt nämlich dazu, dass der Treber dichter wird.
Der Rohstoff – Brot, das nicht gegessen wird – ist leider zur Genüge vorhanden. Hast du Expansionspläne mit „Knärzje“?
Klar habe ich die. Leider hat Corona erstmal einen Strich durch die geplante „Skalierungs-Rechnung“ gemacht. Aber unser Ziel ist es weiterhin, unser Knärzje in einer größeren Bio-Brauerei brauen zu lassen, um dann damit auch in den großen stationären Einzelhandel einzusteigen. Hier sind wir bereits in Gesprächen mit führenden Bio-Supermärkten und hoffen dadurch auch noch dieses Jahr über Frankfurt am Main hinaus in Läden verfügbar zu sein. Ferner habe ich schon wieder diverse andere Ideen, was man mit altem Brot oder vermeintlichen Lebensmittelabfällen noch so anstellen kann. Ich denke da werde ich hier und da auch nochmal über die heimische Küche hinaus an besonders nachhaltigen Produkten arbeiten.
Wir wünschen dir viel Erfolg. Danke für das Gespräch!