AllgemeinInterview

“Fleischkonsum, wie wir ihn kennen, wird es nicht mehr geben”

By October 29th, 2020No Comments

Die Deutschen lieben billige Lebensmittel, Nachhaltigkeit scheint beim Konsum neben dem Preis unwichtig zu sein. Doch das ändert sich gerade, auch wegen der Corona-Krise, meint Experte Daniel Anthes im Interview mit t-online.

Für den 34-jährigen Daniel Anthes ist das Thema Nachhaltigkeit nicht nur Berufung, sondern auch sein Job. Der studierte Wirtschaftsgeograph hat sich mit Vorträgen zum Thema einen Namen gemacht und berät etwa Firmen in ihrer Nachhaltigkeitstrategie. Mit t-online hat er am Rande des jährlichen Partnertreffens von Fairtrade Deutschland darüber gesprochen, warum er glaubt, dass es bald nur noch Veggie-Fleisch geben wird und wieso der Verpackungsmüll weiter zunehmen wird.

t-online: Deutschland gibt im europäischen Vergleich verhältnismäßig wenig Geld für Essen aus. Haben wir das Maß völlig verloren?

Daniel Anthes: Das stimmt – wir geben im Schnitt nur zehn Prozent unseres Geldes für Lebensmittel aus. In den 1960er-Jahren lag der Anteil noch bei 40 Prozent. Das hat sich in relativ kurzer Zeit aufgrund der fortschreitenden Globalisierung und Industrialisierung der Ernährungsindustrie also stark geändert. Aber der Preiskampf ist jetzt vorbei, denn wir haben so gesehen ‘Rock Bottom’ erreicht – günstiger geht es eigentlich nicht mehr. Deswegen ändern sich momentan am Regal bei den Konsumenten auch die Kaufkritierien. Es geht ihnen nicht mehr nur noch um den Preis, sondern neben Geschmack nun auch um Aspekte wie Qualität, Gesundheit und Nachhaltigkeit. Deswegen: Ja, wir haben das Maß in gewissen Teilen verloren, das ist aber natürlich nicht nur die Schuld der Verbraucher, sondern ein grundlegendes Problem des Systems.

Wie finden wir es wieder?

Ein Lösungsansatz wäre, die externen Kosten bei Lebensmitteln einzupreisen. Das bedeutet, dass die Folgekosten von Produktion und Konsum beim Kauf im Preis berücksichtigt werden. Das heißt, wenn wir Fleisch essen, sollte man auch den Wasser- und Flächenverbrauch sowie die CO2-Emissionen einpreisen, die diese Produktion mit sich bringt. Denn momentan werden diese Kosten zum Profit der Produzenten nicht eingerechnet – doch die Folgen und damit auch Kosten der wenig nachhaltigen Produktion hat die Gesellschaft in Form von Klimawandel und Ressourcenverknappung insgesamt zu tragen. Deswegen sind Lebensmittel mit Fairtrade-Siegel oder Öko-Zertifizierung momentan auch noch teurer als konventionelle, da diese auf soziale und ökologische Nachhaltigkeit Wert legen und sich das eben auch im Preis widerspiegelt.

Hafermilch ist teurer als Kuhmilch, das Sojaschnitzel teurer als so manches Stück Fleisch aus dem Supermarkt. Wie lässt sich das Verhalten der Masse ändern?

Grundursache, dass diese Produkte teurer sind, ist die Masse, die wir an tierischen Lebensmitteln haben, die dadurch billiger werden. Da gibt es riesige Unternehmen, die die Märkte mit billigsten Produkten überschwemmen. Alternative Produkte wie beispielsweise Fleischersatzprodukte sind gerade erst im Kommen und deshalb noch nicht derartige Massenware, weshalb die Selbstkosten einfach noch höher sind. Das würde aber in einem System mit echten Lebensmittelpreisen nicht mehr der Fall sein. Ich bin mir aber sicher, dass es den Fleischkonsum, so wie wir ihn gestern kannten und heute noch beobachten können, in Zukunft nicht mehr geben wird. Der Markt von Fleischalternativen wächst ungemein und ist auf dem besten Weg in den gesellschaftlichen Mainstream.

Ist die Forderung nach einem nachhaltigeren Konsumverhalten wirklich massentauglich?

Grundlegend steht es für mich außer Frage, dass Bio- und Fairtrade-Konsum massentauglich sind. Denn gerade im Hinblick auf vor allem ökologische, aber auch soziale Aspekte sind diese Produkte den konventionellen überlegen und in Anbetracht gesellschaftlicher Herausforderungen geht hier kein Weg dran vorbei. Doch sie punkten mitunter auch mit Gesundheitsvorteilen. Deswegen wird Biokonsum noch steigen. Die Frage ist also nicht, ob Bio massentauglich wird, sondern wann.

Hübsch angerichtetes und gesundes Essen zu fotografieren und auf Instagram hochzuladen ist ein Trend. Haben das Internet und die Selbstdarstellung zu mehr bewusster Ernährung geführt?

Definitiv, denn es findet dadurch in der Regel auch eine intensivere Auseinandersetzung mit dem statt, was auf dem Teller ist. Früher hat man gegessen, um satt zu werden. Heute ist Essen eine Ersatzreligion geworden. Schlicht, weil die traditionellen Identifikationsfaktoren im Leben wie Familie oder Religion an Kraft verloren haben. Ernährung ist – und das ist ganz zentral – auch Individualisierung. Wir drücken bestimmte Werte mit unserer Ernährung aus. Wenn wir nun die Möglichkeit haben, das in Szene zu setzten, dann führt das auch dazu, dass wir uns mit dem Thema Essen mehr beschäftigen.

Onlinehandel und Lieferdienste boomen – nicht zuletzt wegen der Corona-Krise. Ist Nachhaltigkeit ein Luxusproblem und in Krisenzeiten nicht mehr umzusetzen?

Durch die Corona-Krise haben Lieferdienste natürlich sehr zugenommen, weil wir uns unsicher sind und nicht wissen, ob wir noch im Restaurant sitzen dürfen beziehungsweise was das dann mit uns macht. Dadurch fällt nun natürlich auch mehr Verpackungsmüll an. Ich bin mir aber sicher, dass der Außer-Haus-Markt, das heißt Restaurants und so weiter, durch die Corona-Krise eine Aufwertung erfährt und wir das dortige Essen dadurch noch mal mehr wertschätzen. Gerade aufgrund der heimischen Renaissance des Kochens merken wir gerade, was es eigentlich an Aufwand und Lebensmitteln bedeutet, gut zu kochen.

Geht das Thema Nachhaltigkeit momentan unter?

Nein, das glaube ich nicht. Am Anfang ist das Thema von der Bildfläche verschwunden. Da ging es um Soforthilfen, ums Überleben quasi. Nun sehen wir aber, dass das Thema Nachhaltigkeit in vielen Bereichen wieder an Fahrt aufnimmt – und zwar zwangsläufig aufgrund der Krise. Wir merken quasi, dass wir in diversen Lebensbereichen nachhaltiger handeln können, ohne dass es uns viel kostet oder besonders aufwendig ist. Stichwort Homeoffice: Firmen merken, dass Geschäftsreisen nicht überall zwingend notwendig sind, sondern es hier und da auch Videokonferenzen tun. Und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durchaus produktiv, wenn nicht sogar noch produktiver als im Büro von zu Hause aus arbeiten können, und dabei sich noch besser um die Familie kümmern können. Auch in puncto Ernährung kommt es zu einem Wandel hin zu mehr Nachhaltigkeit: Biologische, fair gehandelte und regional erzeugte Lebensmittel erfahren eine große Nachfragesteigerung. Und Menschen planen, dieses Kaufverhalten auch nach der Krise fortzuführen.

Der Verpackungsmüll in Deutschland ist mit 227,5 Kilogramm pro Kopf und Jahr in 2018 auf ein neues Rekordhoch gestiegen. Wird die Menge weiter steigen?

Das Verpackungsaufkommen wird zweifelslos weiter zunehmen. Grund dafür ist die Tatsache, dass wir immer weiter und mehr online bestellen werden. Ein Leben ohne Amazon scheint ja mitunter gar nicht mehr vorstellbar. Prognosen gehen davon aus, dass sich die gelieferten Pakete pro Person in den nächsten Jahren verdoppeln werden. Gerade im Zuge von Corona sehen wir, dass es selbst beim Online-Lebensmittelhandel, der eigentlich in Deutschland wenig beliebt war, Zuwächse gibt.

Was könnte die Politik dagegen tun?

Die nachhaltigste Verpackung ist natürlich die, die es nicht braucht. Aber wenn wir wissen, dass das Verpackungsaufkommen steigt, dann sollten Unternehmen sowie Politik schauen, dass die Verpackungen nachhaltiger werden. Ein großes Problem sind weiterhin die niedrigen Recyclingquoten etwa bei Kunststoff, der nur zur Hälfte recycelt wird. Da müssen wir besser werden und da kann die Politik mit verbindlichen Quoten etwas tun.

An welchen Punkten fällt es Ihnen selbst auch mal schwer, die nachhaltige Entscheidung zu treffen?

Ich nutze Ökostrom, habe ein nachhaltiges Bankkonto und esse kein Fleisch. Dafür aber hin und wieder Käse. Noch nachhaltiger wäre es natürlich, komplett vegan zu leben. Aber es ist auch nicht erforderlich, dass alle Menschen perfekt nachhaltig leben, sondern einfach nach und nach Schritte in eben jene Richtung machen. Wichtig ist es also, bei sich selbst zu schauen, was den größten Einfluss in Sachen Nachhaltigkeit hat. Denn es gibt so gesehen aufgrund der Medienberichterstattung viel Irrglaube, was tatsächlich nachhaltig ist. So beträgt die Reduktion der persönlichen CO2-Emissionen pro Jahr beim Verzicht auf Plastiktüten rund 3 Kilogramm; beim Nutzen einer modernen Heizung und Wärmedämmung daheim aber 770 Kilogramm – das ist sogar nochmal deutlich mehr als der Verzicht auf Fleisch, welcher nur mit 450 Kilogramm pro Jahr zu Buche schlägt.

 

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Dieses Interview ist ursprünglich auf T-Online erschienen.