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Protein Punks – wie alternative Proteine unsere Ernährung revolutionieren

By October 13th, 2025No Comments

Die Frage nach der Zukunft unserer Ernährung ist längst mehr als eine Lifestyle-Debatte. Angesichts von Klimakrise, globalen Konflikten und wachsender Ungleichheit wirkt Essen politischer denn je, so Daniel Anthes vom Zukunftsinstitut Frankfurt am Main.

Haus der Kost – Essen, das wir morgen lieben

In Deutschland herrscht aktuell eine ambivalente Stimmung: Einerseits wächst das Bewusstsein für Nachhaltigkeit, Regionalität und Tierwohl. Andererseits prägen Pessimismus, Ernährungsdebatten voller Polarisierung und eine weitverbreitete Skepsis gegenüber technologischem Fortschritt die Gegenwart.

Doch genau in diesem Spannungsfeld eröffnet sich laut dem Food- und Nachhaltigkeitsexperten Daniel Anthes eine historische Chance. Neue Formen der Proteinversorgung – von Pflanzen über Fermentation bis hin zu In-vitro-Fleisch und Insekten – könnten nicht weniger als eine stille Revolution auf unseren Tellern bedeuten.

Daniel Anthes sprach im Juni 2025 beim Kongress „Essen, das wir morgen lieben“ im „Haus der Kost“ in München deshalb auch von den sogenannten „Protein Punks“. Das sind Personen und Entwicklungen, die das bestehende Ernährungssystem herausfordern und neugestalten möchten.

Vielfalt jenseits von Fleisch und Milch

Die Landwirtschaft in Deutschland ist im Wandel. Der Anbau heimischer Hülsenfrüchte wie Erbsen, Ackerbohnen oder Soja wächst deutlich. Sie bilden die Grundlage für eine pflanzenbasierte Proteinversorgung. Doch damit hört die „Protein Punk“-Entwicklung nicht auf:

  • Plant-based: Pflanzliche Alternativen zu Fleisch, Milch oder Käse sind längst im Mainstream angekommen.
  • Fermentation: Sowohl Biomasse- als auch Präzisionsfermentation ermöglichen neue Proteinquellen und funktionelle Zutaten.
  • Cultivated Meat: Zellkultiviertes Fleisch verspricht, Fleischgenuss und Nachhaltigkeit zu verbinden.
  • Insekten und aquatische Proteine: Noch Nischen, aber mit Potenzial für Tierfutter, Snacks oder Spezialmärkte.

Diese Ansätze stehen nicht in Konkurrenz, sondern ergänzen sich. Gemeinsam bilden sie ein „Protein-Ökosystem“, das unsere Ernährung resilienter und diverser machen kann.

Foodtech-Innovationen durchlaufen denselben Zyklus wie andere Technologien: von übersteigerten Erwartungen über Enttäuschungen bis hin zur Etablierung im Alltag. Heute erleben wir tiefgreifende Veränderungen durch 3D-Druck in der Gastronomie, Indoor-Farming oder digitale Lieferketten. Präzisionsfermentation gilt als einer der „Rising Stars“ der Branche.

Doch entscheidend ist, ob diese Technologien den Sprung aus der Blase in den Alltag schaffen. Aktuell sind viele Fleischersatzprodukte schlicht zu teuer. Besonders Babyboomer und Generation X zögern. Dagegen sind Millennials und Gen Z aufgeschlossener: Fast die Hälfte der Jüngeren kann sich vorstellen, regelmäßig Lebensmittel aus neuer Technologie zu konsumieren.

Ernährungswandel als Kulturkampf?

Die öffentliche Debatte über Ernährung ist zunehmend polarisiert: 70 Prozent der Deutschen empfinden sie als spaltend, 42 Prozent fühlen sich durch andere Ernährungsstile persönlich angegriffen. In diesen aktuellen Ergebnissen der Robert-Bosch-Studie zeigt sich, dass Essen nicht nur biologische Notwendigkeit, sondern zutiefst kulturelle Identität ist.

Umso wichtiger ist es, Brücken zu schlagen. Flexitarismus – der teilweise Verzicht auf tierische Produkte – ist bereits Mainstream (46 Prozent der Deutschen laut BMEL 2024).

Von global zu „New glocal“: Regionalität neu gedacht

Ein zentraler Hebel für Vertrauen und Akzeptanz ist Regionalität. 77 Prozent der Deutschen achten darauf, woher ihre Lebensmittel kommen. Doch Regionalität bekommt im 21. Jahrhundert eine neue Dimension: „New Glocal“ bedeutet, globale Vielfalt lokal verfügbar zu machen. Exotische Kulturen wie Quinoa aus dem Odenwald, Süßkartoffeln aus der Lüneburger Heide, Melonen aus Bayern oder Ingwer aus der Steiermark werden Realität.

Dieses Konzept ist laut Anthes nicht rückwärtsgewandt, sondern eine kreative Synthese aus Hightech und Tradition, aus Globalisierung und lokaler Verwurzelung. Selbst Chaos und kulinarische Experimente – wie Pizza-Croissant, Linsen-Leberkäs-Bao-Buns und Kaiserschmarren aus Kichererbsenmehl – gehören zu dieser neuen Esskultur.

Die Zukunft der Ernährung liegt, so Anthes, nicht in einem dogmatischen „Entweder – oder“. Vielmehr brauche es den Mut zur Synthese: pflanzlich UND tierisch, lokal UND global, Hightech UND handwerklich. Daniel Anthes spricht auch von Neo-Ökologie.

Vielfalt, Verantwortung und Genuss

„Protein Punks“ seien jene, die bestehende Strukturen infrage stellen, aber nicht nur „gegen“ etwas sind, sondern eine positive Vision formulieren. Denn Martin Luther King habe nie „Ich habe einen Alptraum“ gesagt. Die Revolution auf unseren Tellern beginnt dort, wo Vielfalt, Verantwortung und Genuss miteinander versöhnt werden – neugierig, mutig und offen für das Unbekannte, so Daniel Anthes.

 

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Dieser Text ist so im aktuellen rhw Management-Magazin (62. Jahrgang, Oktober 2025) erschienen und wurde von Robert Baumann geschrieben.