Die Verbindung von lokaler Tradition und kulturellem Erbe mit modernem Zeitgeist und Innovation wird immer häufiger zum Erfolgsrezept einer nachhaltigen Stadtentwicklung.
Städte sind die Dreh- und Angelpunkte wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Entwicklung und zweifellos der Lebensraum der Zukunft. Schon 2030 werden sechs von zehn Menschen im urbanen Umfeld wohnen und arbeiten. Und unsere Städte werden immer vernetzter und komplexer.
Doch nicht selten ist dieses Wachstum und der Wandel mit einer Dynamik verbunden, welche die Menschen überfordert. Es wird als Belastung, ja sogar als Alltagsstress empfunden, sich tagtäglich im Großstadt-Dschungel zurechtfinden zu müssen. Kaum verwunderlich also, dass immer mehr Stadtbewohner nach Gegengewichten zur vorwiegend digitalisierten Arbeit und zum hektischen urbanen Lifestyle suchen. Diese Sehnsucht nach einem vereinfachten Leben, geprägt von Naturnähe, Nachbarschaft und Nachhaltigkeit, erhält zunehmend Einzug in die Stadtentwicklung.
Slow Citys wollen genau diese Bedürfnisse befriedigen und so zu einem spürbaren Anstieg der Lebenszufriedenheit und urbanen Lebensqualität beitragen. Und so findet die 1999 im toskanischen Städtchen Greve gegründete Cittaslow-Bewegung (italienisch-englisches Kunstwort, frei übersetzt die “Internationale Vereinigung der lebenswerten Städte”) immer mehr Nachahmer, inzwischen sogar weltweit, von Australien über China bis nach Südafrika und Nordamerika.
“Wir sind auf der Suche nach Städten, in denen Menschen leben, die neugierig auf die wiedergefundene Zeit sind, die reich sind an Plätzen, Theatern, Geschäften, Cafés, Restaurants, Orten voller Geist, ursprünglichen Landschaften, faszinierender Handwerkskunst, wo der Mensch noch das Langsame anerkennt, den wohltuenden Rhythmus der Jahreszeiten, die Echtheit der Produkte und die Spontaneität der Bräuche genießt, den Geschmack und die Gesundheit achtet.” (Cittaslow-Manifest)
Lebensqualität, Entschleunigung und Nachhaltigkeit lauten die zentralen Prinzipien, denen sich die Orte verschrieben haben. Darunter fallen nicht nur die Förderung des ortsansässigen Handwerks, der ökologischen Landwirtschaft sowie Verkaufsflächen für regionaltypische Bioprodukte, sondern auch die Nutzung moderner Umwelttechnologien, erneuerbarer Energien und umweltfreundlicher Verkehrssysteme. Bei der innerstädtischen Mobilität haben Busse, Bahnen und Fahrräder Vorrang, Abfallkonzepte setzen auf Kreislaufsysteme. Und neben Maßnahmen zur Wahrung der charakteristischen Stadtstruktur geht es auch um die Pflege von Partnerschaften und Gastfreundschaftsinitiativen. Insgesamt 71 Kriterien, gegliedert in sieben Handlungsfelder, umfasst die Cittaslow-Checkliste – sie gilt es zu erfüllen, um in den Club der langsamen Städte aufgenommen zu werden.
”Unsere Städte drohen gleichförmig zu werden. Sie verlieren ihre Identität, ihre Seele.”
(Paolo Saturnini, ehemaliger Bürgermeister von Greve in Chianti)
Der Slow City-Ansatz will die lokale und regionale Identität urbaner Räume verteidigen. Doch das darf nicht mit konservativem Lokalpatriotismus verwechselt werden, geht es doch um Weltoffenheit, Gastfreundschaft, Fortschritt und Zukunftsfähigkeit. Lokale Ressourcen werden auf innovative Weise Teil regionaler Wertschöpfung.
Nicht selten zielen Slow-Strategien auf eine Symbiose aus Alt und Neu. Lokale Besonderheiten und Kulturgüter werden im Zeitgeist neu interpretiert, wobei zugleich der individuelle, meist traditionelle Charakter gewahrt bleibt. Die österreichische Stadt Hartberg macht es unter dem Motto “Città Slow demonstrates Smart City” vor: Neben dem Titel “Slow City” darf man sich neuerdings auch “Smart City” nennen, weil versucht wird, durch intelligentere Lösungen und die Adaption moderner Technologien in den Bereichen Mobilität, Energie und Gebäude bis 2040 CO2- bzw. klimaneutral zu werden.
Müsste man also das Bedürfnis nach einer Lebensweise der Entschleunigung in der Stadt mit einem Wort beschreiben, so wäre es wahrscheinlich “Balance” – oder “tempo giusto”, wie man es aus der Musik kennt. Urbane Lebensqualität ist zukünftig somit kein “Entweder-Oder”, sondern die bestmögliche Ergänzung von Tradition und Innovation.