
Gleich ist Lunch-Zeit und ich nahm einen spannenden Esquire magazine-Artikel von Michael Sebastian zum Anlass, über den Snackification-Trend und die Erosion klassischer Mahlzeiten-Strukturen zu sinnieren. Denn klar ist: Das Effizienz-Paradigma in unserer Arbeitswelt führt auch zu immer effizienteren & convenienteren Lösungen in unserer Esswelt – ganz gleich ob Ready-to-eat-Bowl vom Foodcourt oder gar der Mahlzeitendrink. Hauptsache mensch füttert schnell das eigene (körperliche) System, um dann das große (Wirtschafts-)System weiter am Laufen und Wachsen zu halten.

Doch wie so oft gibt es auch hier einen Gegentrend und bspw. das bewusste Zelebrieren des Mittagessens auf der Arbeit, gemeinsames Kochen inklusive. Es geht um das Freisetzen von Kreativität und echter menschlicher Verbindung abseits des Hamsterrads und alleinigem Essens am Schreibtisch – quasi eine kleine rebellische Pause gegen das ständige Optimieren. Vielleicht sogar eine Art Power Lunch 2.0?

Unsere Esskultur wandelt sich zunehmend in Richtung einer Snackification, d.h. klassische Mahlzeiten verlieren an Bedeutung und lösen sich zugunsten spontaner, zeitsparender und vor allem convenienter Essgelegenheiten. Die aktuelle Nestlé-Studie „So kocht Deutschland” untermalt diese Entwicklung mit aktuellen Befragungswerten:
- 23 Min. dauert eine Mahlzeit in einem deutschen Haushalt
- 88% aller Mahlzeiten dauern höchstens 30 Minuten
- 56% aller Mahlzeiten sind kalt
- 44% aller Mahlzeiten werden alleine eingenommen
- 36% aller Mahlzeiten finden gar nicht mehr am Esstisch statt
- 38% machen neben dem Essen noch etwas anderes (bspw. Handy, Fernsehen)
Wir erleben einen Shift von der traditionellen Esskultur (definierte und im Voraus geplante Mahlzeiten geben vor, WANN, WAS und MIT WEM wir essen) über eine Übergangsphase hin zu einer modernen Esskultur (Mahlzeiten lösen sich zugunsten spontaner Essgelegenheiten auf, die weder an ZEIT, ORT noch PERSONEN gebunden sind, vgl. Hanni Rützler (2023): Food Report 2023).

Lange Zeit strukturierten die Mahlzeiten den menschlichen Alltag, doch mittlerweile ist es umgekehrt: Unsere Ernährung fügt sich dem Alltag und dadurch erleben wir eine Erosion der klassischen Mahlzeitenstruktur zugunsten von Snacks & Mini-Mahlzeiten – spontane, höchst individuelle Essgelegenheiten, die nicht an bestimmte Uhrzeiten oder Orte gebunden sind.
Doch wie so oft erleben wir gerade aufgrund dieser Zuspitzung des spontan-situativen Essens (welches durch eine außerordentliche Schnelligkeit, Flexibilität & Optionenvielfalt gekennzeichnet ist) einen gesellschaftlichen Gegenimpuls und damit eine Rückbesinnung auf das Langsame & Traditionelle, welches Mahlzeiten-zelebrierendes Essen als kulturelle Konstante wahren will.
Und vielleicht liegt die Zukunft ja gerade dort – in einer sich ergänzenden Co-Existenz beider Esswelten, die uns Essgelegenheiten entsprechend unserer Lebensstile gestalten lassen (ob langsam oder schnell, im Sitzen oder Stehen, etc.), ohne, dass der Genuss zu kurz kommt?


