Gestern durfte ich beim pickepackevollen LVM Landwirtschaftsabend unter dem Motto „Wandel kann auch Spaß machen!“ eine Keynote zur Zukunft der Lebensmittelproduktion halten. Das Motto war natürlich in Anbetracht der schwierigen Lage provokant gewählt, doch durchaus sinnvoll. Denn Wandel braucht Mut, aber eben auch eine zukunftsoptimistische Grundeinstellung, um überhaupt ins Handeln zu kommen.
Status Quo? Schwierig. Bödensterben, Betriebssterben, sogar Kommissionssterben! Die klassische Landwirtschaft ist in soziale & ökologische Sackgassen geraten. Jahrzehntelanges Streben nach Effizienz und der Wunsch einer Loslösung von natürlichen Zwängen hat ein krankes System zur Folge, welches sich nur noch mit Pestiziden, Dünger und einem allgemein hohem Ressourcenverbauch künstlich am Leben hält. Landwirtschaftliche Anbauflächen schrumpfen, Böden verlieren an Fruchtbarkeit und sind immer häufiger Extremwetterereignissen ausgesetzt; mit gravierenden Folgen für Lebensmittelqualität und auskömmliche Ernten für Landwirt:innen.
Wie können wir also eine wachsende Weltbevölkerung im Rahmen der planetaren Grenzen ernähren? Die Erde verlassen und Lebensmittel im All / auf dem Mars anbauen klingt naheliegend, sind aber lediglich Spinnereien größenwahnsinniger Kinder in Erwachsenenkörpern. Denn nein, natürlich ist es noch nicht zu spät, hier und heute auf diesem Planeten umzulenken und neue Wege einzuschlagen. Es gibt durchaus spannende visionäre Entwicklungen, die Lebensmittel auf der Erde, aber eben nicht klassischerweise auf dem Acker produzieren – sei es in Hochhäusern, in oder unter Wasser oder gar in Bioreaktoren:
🏢 Vertical Farming: Von Urban Gardening (Gemüse- und Obstanbau Gemeinschaftsgärten) über Indoor Farming (Anbau von Pilzen, Kräutern und Salaten in Restaurants & Supermärkten) bis zum hochskalierten Vertical Farming (großflächiger Anbau in Hochhäusern, ehem. Bunkern o. U-Bahn-Tunneln) – Landwirtschaft wird immer häufiger Stadtwirtschaft und bringt die Lebensmittelproduktion an den Point of Sale (PoS) & Point of Consumption (PoC).
🧪 Cellular Agriculture: Zelluläre Landwirtschaft revolutioniert, wie wir tierische Lebensmittel herstellen; ob Tissue Engineering (in-vitro / Clean Meat) o. Präzisionsfermentation – zukünftig könnte der Konsum von Fleisch & tierischen Produkten unabhängig vom Töten & Nutzen echter Tiere geschehen, flächensparend in Bioreaktoren
🌊 Mariculture: mehr als 70% der EOF (Tendenz steigend 🥲) sind Wasser u. damit potentiell ein Ort der Lebensmittelherstellung; neben Algen (dem schnellsten wachsenden Organismus auf der Erde) gibt es bereits heute Unterwasser-Gewächshäuser o. Überwasser-(Tier-)Farmen
🎈oder aber Lebensmittel aus Luft, indem wir CO2 aus der Atmosphäre an Mikroben verfüttern und von diesen protein-, ballaststoff- und mineralstoffreiche Pülverchen zurückbekommen
Aber wie schon Adorno in seiner Minima Moralia treffend sagte: „Es gibt kein richtiges Leben im falschen.“ Übersetzt auf die Lebensmittelproduktion: Keine Ökologisierung & Umweltvertragen durch reine Technologisierung. Denn natürlich wird auch auf absehbare Zeit der absolute Großteil unserer Lebensmittel vom Acker kommen – und diesen gilt es bestmöglich nachhaltig zu bewirtschaften & zu regenieren.
Innovative Ansätze, den landwirtschaftlichen Betrieb zukunftsfit zu machen: Von regenerativer Landwirtschaft & Agroforst über systematische Ansätze der Verbindung von Lebensmittel- & Energieproduktion (bspw. Agri-Photovoltaik) bis hin zu Smart Farming. Das alles gepaart mit einer neuen Offenheit gegenüber Transparenz (pun intended), die von der gläsernen Produktion & Weiterverarbeitung über Direktvermarktung bis hin zu Blockchain-Technologien der Verfolgbarkeit entlang der Wertschöpfungskette reicht.
Es hat mich sehr gefreut, eine gewisse Aufbruchs- & Lust-auf-Wandel-Stimmung bei dem Event zu spüren. Und es war sehr inspirierend, diverse Landwirt:innen kennen zu lernen, die Veränderung denken und v.a. auch machen. Vielen Dank an die LVM für die Einladung!