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Superfood – nachhaltiger Food Trend oder nur ein Hype?

By Februar 28th, 2019No Comments

Superfoods sind in aller Munde – nicht nur im übertragenen Sinne, sondern auch wortwörtlich. Doch was genau verbirgt sich hinter den vermeintlich Superkräfte verleihenden Nüssen, Beeren & Pseudogetreiden? Halten sie, was sie versprechen? Wie steht es um die Nachhaltigkeit? Und woher rührt überhaupt die große Resonanz in der Gesellschaft? Eine kritische Betrachtung.

Photo via Harvard T.H. Chan

Knapp 3,6 Millionen Bilder offenbaren sich mir, wenn ich auf Instagram unter dem Hashtag #Superfood suche. Google spuckt sogar ganze 226 Millionen Beiträge heraus. Und gefühlt keine TV-Sendung mit kulinarischem Programm kommt mehr ohne einen Beitrag über Gojibeere, Chiasamen oder Avocado aus. Superfoods sind in aller Munde – nicht nur im übertragenen Sinne, sondern auch wortwörtlich. Doch was verbirgt sich hinter einem der größten Ernährungs-Phänomene der Gegenwart? Oder sollte man besser sagen: Hypes?

Der Begriff „Superfood“ ist weder neu, noch geschützt und einheitlich definiert

Wirft man einen Blick zurück auf die Anfänge, stellt man fest, dass Superfoods an und für sich nichts Neues sind. Die erste namentliche Erwähnung geht zurück auf den Anfang den 20. Jahrhunderts, als das US-Unternehmen United Fruit Company eine große Werbekampagne zu den damals bereits im großen Stil importieren Bananen geschaltet hat. Nicht nur seien Bananen äußerst nährhaft und leicht verdaulich, sondern auch überall verfügbar, vergleichsweise günstig und natürlich verpackt – ein Superfood eben! Deshalb könne man sie auch zum Frühstück im Müsli, zum Mittagessen im Salat oder gar zum Abendessen dem Fleischgericht hinzufügen. Was sich damals schon schwer fassen ließ, hat sich bis heute nicht geändert.

Klar ist: Der Begriff „Superfood“ ist nicht geschützt. Auch gibt es keine offizielle oder rechtlich bindende Definition. Das Oxford Dictionary definiert Superfoods als „nährstoffreiche Lebensmittel, die besonders förderlich für Gesundheit und Wohlbefinden sind.“ Und wahrscheinlich ist auch gerade das der Grund dafür, dass wir jede Woche durch Unternehmenswerbungen, Lifestyle-Magazine oder unseren Foodie aus der Nachbarschaft von einem neuen Superfood erfahren dürfen.

Gerade die Avocado hat eine fast schon unglaubliche Karriere hingelegt. Man könnte auch sagen, wir leben – kulinarisch gesehen – im Jahrzehnt der Avocado. Kaum ein Café und seine Frühstückskarte kommt mehr ohne Avocadotoast oder Avocadosmoothie aus. Innerhalb von nur zwei Jahren ist der Konsum der Europäer um 65 Prozent gestiegen. Und auf den ersten Blick scheint dies auch nicht verwunderlich, ist sie doch reich an Vitaminen, Kalium und vor allem ungesättigten Fettsäuren.

Heimisches „Superfood” punktet in Sachen Gesundheit und Nachhaltigkeit

Doch der irische Sterne-Koch JP McMahon nennt die birnenförmige Beerenfrucht nicht komplett ohne Grund „Blutdiamant Mexikos“ – die erhöhte Nachfrage in westlichen Industrienationen führt zu mitunter katastrophalen Produktionsbedingungen im globalen Süden. Beispielsweise Mexiko als Avocado-Exportweltmeister leidet mittlerweile nicht nur unter brutal agierenden Gangs, die Bauern und Packer um Schutzgeld erpressen, sondern auch unter erheblichen Gesundheitsschäden der lokalen Bevölkerung aufgrund des Pestizid- und Düngemitteleinsatzes; von den Folgen für die Umwelt durch die massiven Abholzungen für die Plantagen sowie dem hohen Wasserverbrauch für den Anbau ganz zu schweigen.

„Doch der irische Sterne-Koch JP McMahon nennt die birnenförmige Beerenfrucht nicht ohne Grund ‚Blutdiamant Mexikos‘.“

 

Doch nicht nur die Avocado ist vor diesem Hintergrund ökologisch und gesamtgesellschaftlich gesehen mehr als fragwürdig. Auch andere hochgelobte Superfoods wie zum Beispiel Quinoa, Chiasamen, Goji- oder Acaibeeren sind am Ende des Tages vor allem eins: Exoten. Das heißt, sie haben einige tausend Kilometer auf dem Buckel, ehe sie bei uns in den Supermarktregalen landen. Das ist auf der einen Seite natürlich erfreulich, bringt uns die Globalisierung doch eine noch nie dagewesene Vielfalt in den Einkaufskorb. Auf der anderen Seite trägt unser steigender Konsum jedoch auch dazu bei, dass es in den Anbauländern zu Verteilungskonflikten, steigenden Preisen für die einheimische Bevölkerung sowie ökologischen Schäden aufgrund extensiver Monokulturen kommt.

Zurück zur schwammigen Definition von Superfoods: Es geht also um die Förderung von Gesundheit und Wohlbefinden. Doch wie gut sind die in den Medien angepriesenen und in Supermarktregalen prominent beworbenen exotischen Superfoods wirklich? Und gibt es nicht eventuell auch lokale Lebensmittel, die ein ähnlich vorteilhaftes Nährstoffprofil aufweisen?

Schauen wir auf einen anderen Exportschlager, dessen Absatz sich in gerade mal vier Jahren um das 100.000-Fache vervielfacht hat: die Chiasamen. Ob in Brot, Keksen, Energieriegeln, Müsli oder Pudding – Chiasamen sind überall. Und das Gesundheitsversprechen ist kein Kleines: Die unscheinbaren kleinen Körner gelten nicht nur als sehr gesund, sondern sollen sogar beim Abnehmen helfen.

Doch vergleicht man bspw. die angepriesenen hohen Omega-3-Fettsäuren, Ballaststoffe oder Proteinanteile mit den heimischen Leinsamen, so müssen sich diese ganz und gar nicht verstecken. Im Gegenteil: Die Nährstoffbilanz ist sogar mitunter vorteilhafter – bei einer um ein Vielfaches besseren Ökobilanz. Und mit weniger als einem Siebtel des Einkaufspreises von Chiasamen sind Leinsamen zudem noch deutlich günstiger.

Eigene Darstellung, Quelle: Zentrum der Gesundeit

Diese Gegenüberstellungen von exotischem Superfood und heimischen Alternativen gibt es mittlerweile zu genüge. Und ganz gleich ob Gojibeere vs. Heidelbeere, Acerola vs. Sanddorn, Quinoa vs. Hirse oder Spirulina vs. Weizengras – immer ist das lokale Superfood im Hinblick auf die Gesundheitsvorteile ebenbürtig, und dazu aufgrund der regionalen Erzeugung deutlich nachhaltiger und günstiger (für einen detaillierteren Vergleich siehe Krankenkassen Zentrale).  

Gesundheit, Individualisierung & Mobilität als zentrale Treiber

Wieso kommt es also dennoch zu der erhöhten Nachfrage nach den wunderheilsamen Exoten aus fernen Ländern? Hier bedarf es einem Blick auf den gesellschaftlichen Wandel. Der zentrale Treiber ist der Megatrend Gesundheit, der unsere Ernährung grundlegend in Richtung gesünderer Lebensmittel verschiebt. Gerade im deutschsprachigen Raum findet Essen immer häufiger im Spannungsfeld von Genuss, Ethik und Gesundheit statt. Laut TK-Umfrage ist den Deutschen mittlerweile “Hauptsache gesund” im Hinblick auf ihre Ernährung am wichtigsten; vor zwei Jahren war die meistgenannte Antwort noch “Hauptsache lecker”. Weit abgeschlagen sind mittlerweile Aspekte wie “Hauptsache kalorienarm, günstig oder schnell.“

Hinzu kommt der Megatrend Mobilität, der unsere Gesellschaft nicht nur aufgrund der Digitalisierung vermehrt mit Daten unterwegs sein lässt, sondern in Verbindung mit neuen Arbeitswelten und Lebensmodellen eben auch physisch. Und damit passen die traditionellen drei Mahlzeiten Frühstück, Mittag- und Abendessen oft nicht mehr zum Alltag, der dadurch insgesamt deutlich mobiler, vernetzter und individualisierter geworden ist. Superfoods versprechen hier die ideale Lösung zu sein, finden sie doch häufig in Snacks Verwendung.

Snacking-Branche als Trend-Epizentrum des Wandels unserer Esskultur

Insgesamt, so scheint es, ist die Snacking-Branche ist aufgrund moderner Lebensstile zum Trend-Epizentrum des Wandels unserer Ernährungskultur geworden. Doch Snacks von heute sind eben nicht mehr mit den Snacks von früher vergleichbar. Denn wo es vor ein paar Jahren beim Snacking noch um Belohnung, Ausnahmen oder besondere Anlässe ging (und dementsprechend vor allem süße und fettige Leckereien), stehen heute Hunger, Energie und Nährstoffe im Vordergrund. Frische, Natürlichkeit und Selbstoptimierung erhalten deshalb zunehmend Einzug in die Snack-Angebote. Und „New Snacking“ wird somit als Resultat zentraler Megatrends unserer Zeit zu einem wichtigen Food Trend v.a. urbaner Alltagskultur.

„Frische, Natürlichkeit und Selbstoptimierung erhalten deshalb zunehmend Einzug in die Snack-Angebote.“

 

Superfoods hingegen, und das muss an dieser Stelle ausdrücklich unterschieden werden, sind per se kein Food Trend. Doch Werbe- und Marketingabteilungen wissen die an sie gesteckten Erwartungen und gesellschaftlichen Bedürfnisse rund um die Themen Gesundheit, Flexibilität und Individualität gekonnt in Szene zu setzen. Doch am Ende des Tages sind sie Mikrotrends bzw. Hypes und Moden auf der Ebene von Produktwelten, die sich selbst im Rahmen größerer Food Trends abspielen. Ob New Snacking, Functional Food oder Clean Eating – die Verbraucher fragen immer häufiger nach Produkten, die ihnen gesunde und qualitativ hochwertige Esslösungen ermöglichen. Doch dafür braucht es eben nicht immer das exotische Angebot aus Übersee mit den schrillsten Werbeslogans.