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Wirtschaft von morgen: Mit Werten wachsen

By Dezember 27th, 2018No Comments

„Wirtschaft“ von morgen muss neu gedacht und gestaltet werden. Die traditionelle Fixierung auf permanentes Wachstum wird abgelöst von neuen Strategien des „Genug“, die ganzheitlicher ansetzen und Ökonomie wie auch Ökologie und Soziales in eine nachhaltige Balance bringen.

Photo by Evi Radauscher on Unsplash.com

Ein Wandel hin zu einem qualitativen Wirtschaftswachstum zeichnet sich ab – die Wachstums- wird zur „Wert-Wirtschaft“. Der im deutschsprachigen Raum bekannteste Postwachstumsökonom und Wachstumskritiker Niko Paech spricht sich an dieser Stelle für fünf essenziell wichtige Entwicklungsschritte aus: Entschleunigung und Entrümpelung durch Fokus auf Wert schaffende Wirtschaftsformen mit maximalem gesellschaftlichem Nutzen, Balance zwischen Selbst- und Fremdversorgung, Förderung der Regionalökonomie, stoffliche Nullsummenspiele sowie institutionelle Innovation.

Die Perspektive für „Wert-Schaffung“ und „Wirtschaft von morgen“ findet sich in einem Kräftespiel diverser Megatrends wieder. Die durch die Megatrends Globalisierung und Konnektivität geprägte Wirtschaft wächst zwar weiter, aber deutlich langsamer. Das heißt nicht, dass Unternehmen nicht mehr wachsen können – sie brauchen dafür aber neue bzw. angepasste Geschäftsmodelle. Der Megatrend Neo-Ökologie beeinflusst die wirtschaftlichen Systeme immer stärker und vermag durch den intensiveren Einsatz von Technologie und Design das bisherige Paradigma der Knappheit und Endlichkeit der Ressourcen zumindest teilweise abzulösen.

Mehr Leistung – weniger Verbrauch

Unternehmen müssen sich immer häufiger mit der Frage auseinandersetzen: Welche ökologischen und sozialen Problemlagen werden durch die eigenen Aktivitäten erzeugt und gelöst? Im Hinblick auf die allgemein relevanten strategischen Handlungsoptionen auf dem Weg zur Wert-Wirtschaft gewinnt dabei das Thema Suffizienz zunehmend an Bedeutung. Ziel ist es, durch eine absolute Reduktion des Energie- und Ressourcenverbrauchs unabhängiger von linearem Wachstum zu werden.

Kombiniert ein Unternehmen den Suffizienzgedanken dann noch mit der eigenen Positionierung in Marktnischen oder als Marktführer (d.h. Dominanz durch Preis oder Qualität), können nicht nur wettbewerbsbezogene Risiken reduziert, sondern auch Gewinnmargen aufrechterhalten werden.

Die Richard Henkel GmbH aus Forchtenberg im Hohenlohekreis in Baden-Württemberg beispielsweise setzt bei ihren Stahl- und Edelstahlmöbeln in erster Linie auf Stabilität und Wertigkeit. So achtet man schon während des modularen Fertigungsprozesses auf die Langlebigkeit und Reparaturfähigkeit der Produkte. Und so kommt es, dass das Reparaturgeschäft zunehmend den Neuverkauf ersetzt – Suffizienz und Ressourcenschonung garantieren dem Kunden qualitativ neuwertige Produkte zu deutlich günstigeren Preisen.

Ein anderes Vorbild ist die Brauerei Neumarkter Lammsbräu aus Neumarkt in der Oberpfalz, welche sich auf die Herstellung ökologischer Getränke spezialisiert hat. Durch eine konsequente Entschleunigungs- und Nischenpolitik wurde man Vorreiter im Bereich Bio-Bier und konnte so neue Branchenstandards setzen. Doch damit nicht genug: Durch den Fokus auf Nachhaltigkeit und die Kooperation mit lokalen Lieferanten sorgte man für die höchste Regionaldichte an Bio-Bauern deutschlandweit.

Sehnsucht nach dem Regionalen

Dabei erzeugen Globalisierung und Konnektivität einen bedeutsamen Gegentrend, einen lokalen Gegenreflex. Die Glokalisierung als eine Synthese von Global und Lokal steht bei zunehmender „konnektiver globaler Geschwindigkeit“ für die Sehnsucht der Menschen nach Heimat und Lokalität, nach Überschaubarkeit, Zuordnung und Besonderheit. Orte und Regionen haben die Chance, gut zu wachsen statt nur viel – „Wert-Schätzung“ hieße in einer regionalökonomischen und regionalpolitischen Übersetzung: die Unternehmen der Wert-Wirtschaft anlocken und fördern. Regionalisierung ist für eine funktionierende Wert-Wirtschaft unerlässlich.

Die Globalisierung lässt also als Gegentrend Bewegungen zutage treten, die das Regionale und Lokale fördern. Und damit gewinnen die „Glocal Player“ an Bedeutung: Regionale Unternehmen mit grenzüberschreitendem Marktanspruch, die aber in der Region verwurzelt sind. Und genau hier liegt eine große Möglichkeit für die Verwirklichung der Wert-Wirtschaft: Die regionale Einbettung bzw. Verankerung und damit eine potenziell transformative gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen.

Die Möbelmacher GmbH aus dem fränkischen Unterkrumbach ist ein regional und nachhaltig wert-wirtschaftendes Unternehmen, das seine ­Region mitprägt. Zentrales Ziel ist die Förderung der regionalen Wirtschaftskreisläufe mit wertschätzender Produktion – zum einen durch ausschließliche Verarbeitung von Holz aus umliegenden Wäldern und zum anderen durch das Angebot von Instandhaltungs- und Reparaturdienstleistungen, um ausrangierten Möbeln in den zweiten Lebenszyklus zu verhelfen.

Outstanding in the field hat als gastronomisches Konzept für Aufsehen gesorgt, welches das Prinzip ­Regionalität auf die Spitze treibt: Anstatt die Region in die Küche zu bringen, bringt es die Küche in die Region. Auf Bauernhöfen, in Gärten, auf Berggipfeln oder am Strand wird ein langer Tisch aufgebaut, auf dem dann ausschließlich Speisen aus der Gegend serviert werden. Zubereitet werden lokale Spezialitäten von einem Spitzenkoch aus der Region. Hintergedanke ist, „eine neue Verbindung zwischen Speisen und dem Land ihrer Herkunft zu schaffen und den örtlichen Bauern und kulinarischen Kunsthandwerkern die Ehre zukommen zu lassen, die ihnen gebührt“. Bereits seit 1999 gibt es das Konzept in den USA, mittlerweile wird es längst auch in Asien und Europa praktiziert.

Hin zu einer Kreislaufwirtschaft

Für welche Strategie sich ein Unternehmen auch entscheiden mag – der Megatrend Neo-Ökologie ist eine bestimmende Triebfeder der Zukunft und wird die wirtschaftlichen Systeme einer Region immer stärker beeinflussen. Das neue Denken: Weg vom Verbrauch, hin zur idealen Nutzung. Die Wert-Wirtschaft ist dabei nicht mehr vom Effizienzgedanken getrieben, sondern von der Frage der Effektivität – man denkt nicht mehr vom Produkt zum Müll, sondern zirkulär bzw. kreislaufförmig. In einer Circular Economy gibt es keinen Abfall, sondern nur neue Rohstoffe. Die Kreislaufwirtschaft als natur-inspirierte Praxisstrategie des permanenten Zurückführens verbrauchter Ressourcen in den biologischen oder technischen Kreislauf veränder traditionelle wirtschaftliche Grundmuster.

Michael Braungart, Pionier der Cradle-to-Cradle-Bewegung, illustriert den Grundgedanken anhand eines Beispiels aus der Natur: Der Kirschbaum verhält sich nicht effizient, aber hocheffektiv. Im Frühling bringt er ­Tausende von Blüten und Früchten hervor, ohne die weitere Blüte und Reife der Kirschen zu belasten. Im Gegenteil: Sie fallen zu Boden und werden zu Nährstoffen.

Cradle to Cradle geht nicht vom Sparen, sondern vom Grundsatz der Nützlichkeit und des intelligenten Verbrauchs aus. Statt den eigenen ökologischen Fußabdruck zu minimieren, soll ein positiver Fußabdruck hinterlassen werden. Produkte sollen so konzipiert werden, dass sie nur technische Dienstleistungen sind – also 3000-mal Waschen bei der Waschmaschine oder 25 Jahre Hindurchschauen bei den Fenstern. Die Leistung ist das Produkt, alles wird Nährstoff und bleibt im Kreislauf. Ziel: Nicht den Abfall an sich, sondern das Prinzip Abfall abzuschaffen.

In Deutschland entfallen fast 60 Prozent des anfallenden Mülls auf die Bauindustrie, weshalb hier auch ein enormes Potenzial liegt, Müll zu reduzieren und Ressourcen zu schonen. Genau das haben die Architekten von Partner und Partner Architekten erkannt und verknüpfen als Vertreter der Cradle-toCradle-Philosophie die Anforderungen von komplexen Bauaufgaben mit den Prinzipien von Cradle to Cradle.

Auch das südwestlich von Amsterdam gelegene Gewerbegebiet Park 20|20 verinnerlicht diesen Ansatz mit einem ganzheitlichen Konzept: Von der Landschaftsgestaltung über die energieoptimierte Architektur und die Versorgung aus nachhaltigen Energiequellen bis hin zum zentralen Wasser- und Abwassermanagement erfüllt alles die Kriterien „von der Wiege zur Wiege“. Beispielsweise werden für den Bau der Gebäude nur C2C-zertifizierte Materialien verwendet – das heißt: Reste können dem Produktionsprozess wieder zugeführt werden, die Menge des eingesetzten Materials entspricht exakt dem Gewicht des Fertigproduktes und der Baustoff ist zu 100 Prozent recycelbar.

Nicht wachsen, sondern reifen

Klar ist, dass uns der blinde Wachstums-Fetischismus nicht weiter bringt; erst recht nicht in dieser zunehmend komplexer vernetzten Welt. Immer mehr Menschen sind überzeugt, dass „immer mehr“ nicht gleichbedeutend mit „immer besser“ ist und Wachstum sich eben nicht 1:1 in allgemeinen Wohlstand oder Fortschritt übersetzen lässt. Aus diesem Grund müssen wir „Wirtschaft“ neu denken und ganzheitlicher verstehen – als System, das systemische Lösungen bedarf. Wir brauchen einen weiteren Blick in die Zukunft, wobei die „Wertschaffung“ all unseren Handelns zugrunde liegt. Eine Zukunft, in der Wirtschaft nicht wachsen muss, sondern reifen kann.

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