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Wie Nachhaltigkeit in den 2020ern zum Businessstandard wird

By Januar 12th, 2020No Comments
Photo by Charles Etoroma on Unsplash

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„Nachhaltigkeit ist wie Teenager-Sex: Alle reden unentwegt davon. Gemacht wird es eher selten. Und wenn es gemacht wird, ist es nicht gerade toll.“, traf der GreenBiz-Gründer Joel Makower mal den Nagel auf den Kopf. Und man könnte ihm wohl nicht mehr zustimmen. Denn es ist zweifelsohne so, dass das Thema Nachhaltigkeit zwar immer häufiger diskutiert, aber deshalb nicht zwingend mehr oder gar besser umgesetzt wird. Ein Jahr „Fridays for Future“-Demonstrationen, unzählige Talkshowdiskussionen, eine Reihe großer und prominenter Unternehmensankündigungen sowie ein bescheidenes Politik-Klimapaket später fragt man sich, wann die große Transformation denn nun endlich an Fahrt aufnimmt.

Spoiler: In den 2020er-Jahren wird es endlich so weit sein. Schlicht, weil es muss. Der Megatrend Neoökologie wird die Koordinaten unseres Wirtschafts- und Gesellschaftssystems neu ordnen und Nachhaltigkeit vom individuellen Lifestyle zur gesellschaftlichen Bewegung und vom Konsumtrend zum Wirtschaftsfaktor machen. Die Klimakrise und damit einhergehende ökologische und soziale Herausforderungen werden insbesondere das unternehmerische Denken und Handeln in seinen Grundfesten erschüttern, aber eben auch neu erfinden lassen. Unternehmen werden so zu Akteuren einer Ermöglichungswirtschaft!

Wenn ein System zerstörerisch ist, sollte man nicht den Versuch machen, es effizienter zu gestalten. Stattdessen sollte man Möglichkeiten finden, es vollständig umzukrempeln

 

Unsere guten Vorhaben werden derzeit von einem Rebound-Effekt bedroht

Im Hinblick auf mögliche Zukunftsstrategien bedeutet dies vor allem eins: weg vom Effizienzdenken, hin zur Konsistenz und vor allem auch zur Suffizienz. Denn wie sagte der Cradle-to-Cradle-Pionier Professor Braungart bereits: „Wenn ein System zerstörerisch ist, sollte man nicht den Versuch machen, es effizienter zu gestalten. Stattdessen sollte man Möglichkeiten finden, es vollständig umzukrempeln.“ Soll heißen: Wenn etwas weniger schlecht ist, ist es noch lange nicht gut. Es bringt leider reichlich wenig, wenn beispielsweise unsere Autos und Elektrogeräte sparsamer werden, wir sie aber im gleichen Atemzug größer bauen und häufiger nutzen. Was vor allem in der Wissenschaft schon als „Rebound-Effekt“ bekannt ist, meint letztlich einfach nur, dass wir trotz Effizienzgewinnen in vielen Bereichen nicht weniger Ressourcen verbrauchen und dementsprechend nachhaltiger leben als zuvor.

Angesichts der Tatsache, dass in vielen Bereichen die ökologischen Grenzen der planetaren Tragfähigkeit bereits erreicht und in manchen sogar schon überschritten sind, brauchen wir zum einen konsistente beziehungsweise ökoeffektive Produkte und Geschäftsmodelle. Das heißt, bestehende Produkte und Technologien werden durch radikale Innovationen substituiert und umweltverträglicher gemacht. Und so gibt es in dieser Kreislaufwirtschaft keine Abfälle, sondern nur neue Rohstoffe.

Wenn zum Beispiel die Firma Adidas Sportschuhe aus eingesammeltem Ozeanplastik herstellt, geht das zwar in ebenjene Richtung, wirkt aber im Vergleich zur Herstellung von nach Fleisch aussehenden, schmeckenden und blutenden Burgerpatties aus rein pflanzlichen Inhaltsstoffen eher wie ein auf Symptome reduzierter Werbegag. Mittlerweile hat man mit dem „Futurecraft“ einen Laufschuh rausgebracht, den man verspricht, jahrelang in gleicher Qualität recyceln zu können. Na also, geht doch.

Für Unternehmen und Politik bedeutet der Rebound-Effekt jedoch, dass man sich in Zukunft nicht allein auf technische Lösungen verlassen kann.

 

Für Unternehmen und Politik bedeutet der Rebound-Effekt jedoch, dass man sich in Zukunft nicht allein auf technische Lösungen verlassen kann. Eine nachhaltige Transformation unserer Gesellschaft erfordert deshalb auch Strategien, die eine absolute Reduktion unseres Energie- und Ressourcenverbrauchs herbeiführen.

Recycling, Upcycling, Precycling – die Komplettvermeidung von Müll ist das Ziel

Das Thema Konsistenz wird hier ganz neue Märkte eröffnen. Nach Recycling kommt Upcycling und schließlich Precycling, also die im Voraus geplante Komplettvermeidung von Müll. Ob als Restaurant, das Speisereste mittels Kompostiermaschine in Substrat umwandelt; als Elektronikhersteller, der seine Smartphones zwecks besserer Reparierbarkeit und Langlebigkeit modular aufbaut; oder als Möbelhersteller, der sein Kerngeschäft von der Produktion auf die Wartung und Instandhaltung verlegt – das Thema Zero Waste ist mittlerweile deutlich größer, als es die jahrelange fast ausschließliche Diskussion um Plastiktüten und Einweggeschirr vermuten lässt. Wer als produzierendes Unternehmen zukünftig nicht über den reinen Verkauf und den Konsum seiner Produkte hinaus an die Regeln einer ressourcenschonenden Kreislaufwirtschaft denkt, wird eher früher als später seine Daseinsberechtigung am Markt verlieren.

Und hier vollzieht sich ein für die Nachhaltigkeit elementarer Shift unternehmerischer Wertschöpfung: Der alleinige Fokus auf die Produktionsseite verschiebt sich in Richtung Konsumentenseite. Denn klar ist: Echte Nachhaltigkeit lässt sich erst erreichen, wenn naturverträgliche, technische Innovationen auf veränderte Produktions- und Konsummuster treffen. Und hier kommt die Suffizienz ins Spiel, die vor allem auch eine Kulturfrage, eine Frage nach dem rechten Maß ist: Wie viel Konsum braucht unsere Gesellschaft überhaupt?

Ist das Monatsabo die Zukunft des Konsums?

Neben Maßnahmen zur Verlängerung von Produktlebenszyklen sowie der Steigerung von Reparier- und Wiederverwendbarkeit eröffnet auch der Megatrend Konnektivität viel Potenzial für neue, nachhaltigere Geschäftsmodelle. Dematerialisierung und Tertiärisierung können zu einer absoluten Reduktion des Ressourcenverbrauchs beitragen, da es hier nicht mehr um den Verkauf eines Produktes, sondern um einen Nutzen geht. Dem „XaaS“ („Anything as a Service“)-Markt werden nicht umsonst jährliche Wachstumsraten von bis zu 40 Prozent prognostiziert. Mittlerweile kann man neben Autos, Werkzeug, Kleidung und Sportgeräten sogar problemlos Kinderspielzeug im Monatsabo leihen.

Noch hält sich unser aktuelles Wirtschaftssystem mit Massenmärkten am Leben, die kurzlebige Produkte erzeugen, welche künstlich geschaffene Bedürfnisse bedienen und damit Konsument*innen sicher nicht dauerhaft glücklich zu machen vermögen. Doch mittlerweile gibt es nicht mehr nur die schon seit Jahrzehnten bekannte Dringlichkeit, sondern auch die Visionen für einen Wandel hin zu mehr Nachhaltigkeit – einem zukunftsweisenden Zusammenspiel von veränderten Produktions- und Konsummustern, politischen Rahmenbedingungen und nachhaltigeren technischen Innovationen.

Noch hält sich unser aktuelles Wirtschaftssystem mit Massenmärkten am Leben, die kurzlebige Produkte erzeugen, welche künstlich geschaffene Bedürfnisse bedienen. 

 

Es ist durchaus noch möglich, dass wir diese Transformation „by design“ hinbekommen und damit kreativ, demokratisch und bedürfnisorientiert. Wir scheinen zwar gern über Katastrophen und den Weltuntergang zu reden, doch einen Wandel „by desaster“ sollten wir tunlichst vermeiden. Dies erfordert jedoch ein unternehmerisches Mindset des Possibilismus, der das Mögliche unserer Welt in Anbetracht der großen Herausforderungen um Klimawandel und Co. betont.

Denn Nachhaltigkeit will keine Optionen limitieren, sondern Möglichkeitsräume schaffen. Und wir haben in Sachen Nachhaltigkeit nur einen Bruchteil der denkbaren Möglichkeiten ernsthaft ausgeschöpft.

Also, liebe UnternehmerInnen und ErmöglicherInnen, packen wir’s an!