Texte

Going beyond! Diese Trends werden 2020 die Food-Branche nachhaltiger gestalten

By Januar 26th, 2022No Comments

Der Megatrend Neo-Ökologie ist dabei, die Koordinaten unseres Wirtschafts- und Gesellschafts- systems neu zu ordnen. Insbesondere die Lebensmittelbranche wird sich in Zukunft als Pionier in Sachen Nachhaltigkeit präsentieren und altbekannte Produktions- und Konsummuster neu denken. Willkommen im „Zeitalter des Beyond“!

Das vergangene Jahr 2019 stellt einen gesellschaftlichen Wendepunkt dar. Eine neue globale Umweltbewegung hat die Themen Klimaschutz und Nachhaltigkeit ganz oben auf die politische, wirtschaftliche, ja gesamtgesellschaftliche Agenda katapultiert. Und nach der Zeit der großen Worte, Diskussionen und Streitigkeiten werden die kommenden Jahre im Zeichen des Machens stehen. Schlicht auch weil sie es müssen. Nachhaltigkeit wird – nein, besser noch, ist – unternehmerisches Business Case, politisches Leitbild und gesellschaftliches Paradigma.

 

„Die Lebensmittelbranche als Seismograph für gesellschaftliche Veränderungsprozesse ist ein spannender Zukunftsschauplatz.“

 

Die Lebensmittelbranche ist in diesem Zusammenhang als Seismograph für gesellschaftliche Veränderungsprozesse und Trends ein extrem spannender Zukunftsschauplatz. Denn vor allem hier lassen sich neue Lebensstile und mit ihnen neue Produkte, Services und Geschäftsmodelle beobachten, die sich von Avantgarden und InnovatorInnen ausgehend ihren Weg in den gesellschaftlichen Mainstream bahnen. 

Schon seit längerem und damit nicht zuletzt seit #FridaysForFuture sind die Themen Nachhaltigkeit, Regionalität und Transparenz für KonsumentInnen von besonderer Bedeutung beim Kauf von Lebensmitteln. Unternehmen, allen voran Großkonzerne, stehen hierdurch mit dem Rücken zur Wand.

Mit dem aktuellen Jahr 2020 wird die Nachfrage abermals steigen und somit zum zentralen Faktor bei der Kaufentscheidung – ganz gleich ob im Supermarkt, auf dem Bauernhof oder am heimischen Laptop. Mehr als zwei Drittel der Deutschen kaufen heute mehr nachhaltige Produkte als noch vor fünf Jahren und knapp 80 Prozent haben vor, ihren Konsum innerhalb der nächsten fünf Jahre zunehmend nachhaltiger zu gestalten. Unternehmen der Lebensmittelindustrie sollten sich deshalb schon heute auf diese Bedürfnisse einstellen, um auch morgen erfolgreich am Markt bestehen zu können. 

Vor dem Hintergrund gesamtgesellschaftlicher Herausforderungen, wie z.B. dem Klimawandel, lassen sich schon heute drei zentrale Food Trends in Sachen Nachhaltigkeit feststellen.

 

„Gerade im deutschsprachigen Raum steht Essen insbesondere im Spannungsfeld von Genuss, Ethik und Gesundheit.“

 

Beyond Meat & Milk: Ernährung wird pflanzenbasiert

Gerade im deutschsprachigen Raum steht Essen insbesondere im Spannungsfeld von Genuss, Ethik und Gesundheit. Laut aktuellem Ernährungsreport würden 63 Prozent der deutschen Bevölkerung signifikant weniger Fleisch essen, um die Umwelt zu schützen. „Plant-based“ ist nach vegan, vegetarisch und flexitarisch das Wort der Stunde und bringt die Megatrends Nachhaltigkeit und Gesundheit zusammen – Ernährung zum Wohle des Planeten und für sich selbst. Nicht nur Startups, sondern mittlerweile auch viele Großkonzerne denken Tierprodukte wie Fleisch, Fisch und Milch gänzlich neu und bringen pflanzenbasierte Alternativen auf den Markt.

  • Nachdem Beyond Meat mit seinen pflanzenbasierten Burger-Patties in Deutschland so durch die Decke gegangen ist, ziehen diverse Unternehmen nach – seien es bspw. Nestlé (bald auch mit „Bratwurst“), Unilever oder Iglo
  • Rügenwalder Mühle macht als Traditions-Wurstunternehmen bereits mehr als 40% seines Umsatzes mit Fleischersatzprodukten; und der Selbstbedienungs-Bäcker Backwerk hat dank Rügenwalder seit kurzem erstmals deutschlandweit einen vegetarischen Hot Dog im Angebot
  • IKEA bringt in diesem Jahr eine vegane Variante seiner schwedischen Fleischklößchen-Klassiker Kotbullar in die Stores
  • Planted aus der Schweiz produziert Fleisch aus Pflanzen, doch mit deutlich reduzierter Zutatenliste – lediglich Erbsenprotein, Erbsenfaser, Rapsöl und Schweizer Wasser werden verwendet
  • Veganz experimentiert mit einem veganen Räucherlachs auf Basis von Meeresalgen und zeigt, dass nach Fleisch nun auch Fisch pflanzenbasiert hergestellt werden kann
  • Frosta bringt eine pflanzenbasierte TK-Reihe für die Gemeinschaftsverpflegung heraus – Frikadellen, Backfisch und Knusperfilet “Frisch vom Feld”
  • Good Catch geht weiter und kreiert vegane Fisch- und Meeresfrucht-Alternativen basierend auf sechs Hülsenfrüchten mit Algenextrakten für den Umami-Geschmack
  • Starbucks will seinen Milchverbrauch in Zukunft zu Gunsten von pflanzlichen Ersatzprodukten reduzieren

 

Beyond Plastic: Verpackungen werden kunststofffrei

Plastik ist mittlerweile elementarer Bestandteil unseres Alltages geworden, vor allem beim Umgang mit Lebensmitteln. Doch seitdem klar ist, dass winzige Plastikteilchen über unsere Nahrung in unseren Körper gelangen, werden Stimmen nach Alternativen immer lauter. Die riesigen Mengen an Verpackungsmüll und die Erkenntnis, dass wir lange nicht alles erzeugte und verbrauchte Plastik auffangen und (stofflich) recyceln, steigert nicht nur den gesellschafltichen, sondern auch den politischen Druck auf die Unternehmen. Die Folge: Die Forschung über und die Einführung von biobasierten, biologisch-abbaubaren, 1:1 – wiederverwendbaren oder komplett vermeidbaren Verpackungen schreitet weiter voran. 

  • Frosta sagt Tschüss zum Plastikbeutel und hat einen Papierbeutel für die Tiefkühltruhe herausgebracht, der ganz ohne Plastik Beschichtungen und ohne Folien auskommt
  • Ritter Sport startet einen Prototypen und bringt eine seiner Schokoladen in einem eigens entwickelten Spezialpapier heraus
  • Carlsberg experimentiert mit seiner “Green Fibre Bottle“ schon länger mit Bierflaschen auf Papierbasis und schaffte mit dem „Snap Pack“ (Spezialkleber) auch den Sixpack-Halter aus Plastik ab 
  • Rewe, Penny und Edeka setzen auf die sog. „Coating“-Technologie und lassen Verpackungen in der Obst- und Gemüseabteilung ganz überflüssig werden; der Grund: eine geruchs- und geschmacklose, unsichtbare, Schutzschicht aus Zuckerresten, Zellulose und pflanzlichen Ölen verlangsamt den Reifeprozess
  • MakeGrowLab entwickelt eine Alternative namens „Scoby“ (kurz für „Symbiotic Culture Of Bacteria and Yeast“), welche aus agroindustriellen Nebenprodukten durch Fermentierung gewonnenen wird und nach Gebrauch gegessen oder komplett kompostiert werden kann
  • Loop als Plattform des Recycling-Unternehmens Terracycle bietet Markenprodukte zahlreicher Hersteller über den Online-Shop an, welche in wiederverwendbaren Behältern geliefert und nach Verwendung wieder abgeholt, hygienisch gereinigt und erneut befüllt werden

 

Beyond Waste: Lebensmittelproduktion & -handel werden zirkulär

Mittlerweile ist auch klar, dass das Thema „Zero Waste” deutlich umfassender ist als der alleinige Fokus auf Verpackungen. Unsere Überflussgesellschaft hat dazu geführt, dass wir rund 40-50 Prozent der produzierten Lebensmittel wegwerfen, obwohl der absolute Großteil davon noch genießbar ist. Vermeintliche Lebensmittelabfälle werden in der Folge Ausgangspunkt innovativer Geschäftsmodelle, die den Ansatz der Kreislaufwirtschaft auch in die Food-Branche holen. Und Lebensmittelwertschätzung wird zum zentralen Innovator neuer Geschäftsmodelle.

  • Ich selbst habe mit Knärzje ein Food-Startup gegründet, mit welchem ich aussortiertes, weil überschüssiges Bio-Brot zum Brauen eines Zero-Waste-Biers nutze
  • Banabooms, ein Projekt zweier Studentinnen der Universität Hohenheim, rettet aussortierte Bananen und verwandelt sie in eine knusprig-leckere Frühstückscerealie.
  • ZestUp ist ein Erfrischungsgetränk, welches seinen kompletten Fruchtgehalt aus der Schale von Bio-Früchten gewinnt, die bei der Saftproduktion als Nebenprodukte anfallen 
  • Rettergut hat eine Mix-Schokolade auf den Markt gebracht, welche der Chargentrennmasse beim Sortenwechsel in der Schokoladenherstellung eine zweite Chance gibt
  • Dörrwerk fängt für den Handel zu krummes und unförmiges Obst und Gemüse auf und stellt daraus Fruchtpapier und -chips zum Snacken her
  • Sirplus rettet überschüssige oder abgelaufene Lebensmittel vor der Tonne und verkauft diese deutlich günstiger in mittlerweile vier Stores in Berlin, dem eigenen Online-Shop und bald als Franchise auch stationär über Berlin hinaus
  • Too Good To Go ist die App gegen Lebensmittelverschwendung und rettet mit seinen NutzerInnen unverkauftes Essen durch Kooperation mit Gastronomie- und Einzelhandelsbetrieben

Auch wenn dies alles am Ende des Tages erst mal nur kleine Inseln des Umdenkens in einem immer noch großen Ozean des weiter-so-wie-bisher sind, so kann man doch unweigerlich feststellen: Es tut sich etwas in der Lebensmittelindustrie. Die Vorzeichen des Wirtschaftens sind dabei, sich in Richtung einer nachhaltigeren Business-Moral zu verschieben. 

Die Beweggründe sind jedoch mittlerweile fundamental andere: Wo die Ökopioniere des vergangenen Jahrtausends noch intrinsisch motiviert waren, sind es heute vor allem externe Gründe – denn mit Nachhaltigkeit liegt ein neuer Business Case auf dem Tisch, der wirtschaftlichen Erfolg zunehmend mit sozialen und ökologischen Faktoren in Einklang bringt.