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Neo-Ökologie wird neue Business-Moral

By Dezember 1st, 2019No Comments

Viele Firmen schmücken sich aus PR-Gründen gerne mit einer Öko-Strategie. Warum das auf Dauer nicht reicht, erklärt Nachhaltigkeitsexperte Daniel Anthes. Er untersucht neue Öko-Trends und ihre Auswirkungen auf Gesellschaft und Wirtschaft. Er hat selbst ein Startup gegründet. Im Interview mit n-tv.de erklärt er, warum es für Unternehmen nicht mehr reicht, ein bisschen Greenwashing zu betreiben und was Neo-Ökologie mit Bierbrauen zu tun hat.

Photo by Shahadat Shemul on Unsplash

n-tv.de: Ihr Lieblingsthema im Bereich Nachhaltigkeit ist Ernährung. Warum?

Daniel Anthes: Ja, das ist richtig. In gefühlt keiner anderen Branche sehen wir den gesellschaftlichen Wandel insgesamt so frühzeitig und eindrucksvoll wie hier.

Was meinen Sie damit?

Die Essensbranche selbst ist eine sehr schnelldrehende Branche, in der schnell neue Produkte auf den Markt kommen. Man kann sich mit deutlich weniger Zeitaufwand auf sich ändernde Bedürfnisse und Wünsche der Konsumenten einstellen. Viele politische und Gesellschaftsthemen projizieren sich auf den Teller – grundlegende ethische und moralische Geschichten, gerade beim Thema Nachhaltigkeit.

 

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Nachhaltigkeitsexperte Daniel Anthes hat das Zero Waste Startup Knärzje gegründet.

 

Was können Unternehmen von der Lebensmittelbranche im Bereich Nachhaltigkeit lernen?

Die Ernährungsbranche zeigt, dass das System zu verschwenderisch ist. Weltweit landen immer noch 1,6 Milliarden Tonnen Lebensmittel im Müll, obwohl der Großteil vermeidbar ist. Deshalb handelt es sich hier eigentlich nicht um Abfälle, sondern potenziell neue Rohstoffe und damit die Ausgangsbasis für neue Produkte. Da gibt es mittlerweile einige Startups, die das erkannt haben und damit den Trend „Zero Waste“ in die Wirtschaftswelt tragen. Da ist das Ziel, keinen Müll mehr zu produzieren oder Abfall wiederzuwenden. Ich versuche das gerade selber.

Sie sind unter die Bierbrauer gegangen, richtig?

Genau, ich stelle aus altem Brot Bier her. Das ist auch nur ein Ansatz, um zu zeigen, dass das Thema Kreislaufwirtschaft gerade erst anfängt. Aber es wird immer wichtiger. Wer zukünftig nicht im Kreislauf denkt, hat keine Chance mehr und wird seine Daseinsberechtigung am Markt verlieren. Das weitet sich jetzt auf alle Branchen aus und betrifft längst nicht mehr nur Verpackungen. Ein Beispiel sind Möbel: Hersteller verändern ihr Geschäftsmodell dahingehend, dass sie sich nicht mehr nur rein über den Verkauf von Möbel finanzieren, sondern in erster Linie ihr Geld mit der Wartung und dem Service der verkauften Möbel machen. Man setzt den Fokus eher auf die Instandhaltung der verkauften Produkte.

Haben Sie da ein Beispiel?

Ikea ist da jetzt relativ eindrucksvoll auf den Zug aufgesprungen. Früher hätte man ein Billy-Regal, das man nicht mehr will, einfach weggeschmissen. Jetzt kauft Ikea seine benutzten Möbel wieder zurück, macht sie schick und verkauft sie als Second-Hand-Ware erneut. Das Gleiche gibt es in der Elektronik. Smartphone-Hersteller wie Shiftphone zum Beispiel bauen ihre Handys modular auf. Dann muss man nicht gleich das ganze Smartphone entsorgen, sondern nur ein Einzelteil, wenn es kaputt ist. Das ist Kreislaufwirtschaft, auch Neo-Ökologie genannt.

Welche Rolle spielt Neo-Ökologie für die Wirtschaft?

Neo-Ökologie beschreiben wir als einen Megatrend. Megatrends sind für uns globale, alle Branchen betreffende und dauerhafte Entwicklungen. Neo steht für ein neues Verständnis von Ökologie. Zum einen über neue Ansätze der Kreislaufwirtschaft. Da ist noch lange nicht als Mainstream bei den Firmen angekommen. Deswegen gibt es da noch viel Potenzial. Zum anderen geht es um das Thema Konsum: Wie viel müssen wir eigentlich konsumieren, wie viel Konsum macht uns glücklich? Es gibt bereits Unternehmen, die sich selber im Verkauf Grenzen setzen und nicht darüber hinauswollen, weil es nicht nachhaltig ist.

Wie kann man sich das vorstellen?

Nehmen wir als Beispiel die Brauerei Neumarkter Lammsbräu. Das ist eine der ersten Bio-Brauereien in Deutschland, die verkaufen nur so viel Bier, wie ihnen ihre Region nachhaltig an Rohstoffen zur Verfügung stellen kann. Zum Beispiel nutzen sie nur so viel Hopfen, wie sie aus ihrer Region nachhaltig gewinnen können und produzieren dann auch nur so viel Bier. Das ist Neo-Ökologie. Es geht nicht nur um eine Lebenseinstellung, sondern um eine neue Business-Moral.

Wie viele Unternehmen machen das bereits zu ihrer neuen Business-Moral?

Aktuellste Studien zeigen, dass über 90 Prozent der Top-Manager weltweit sagen, dass Nachhaltigkeit wichtig für den Unternehmenserfolg ist. Aber nur 60 Prozent haben tatsächlich eine Nachhaltigkeitsstrategie implementiert. Das hat sich verbessert, vor 15 Jahren waren die Werte noch komplett anders. Was früher nice-to-have war, ist heute dringende Notwendigkeit geworden. Aber als Teil einer Nachhaltigkeitsstrategie reicht es nicht mehr, den nächsten Shitstorm aufzuhalten und ein bisschen Greenwashing zu betreiben. Nachhaltigkeit ist Innovationstreiber geworden, weil dadurch neue Produkte oder Dienstleistungen designt werden können. Da entstehen völlig neue Märkte.

Betreiben viele Firmen Greenwashing, also nutzen die „Liebe zur Umwelt“ nur für Marketing und PR-Zwecke aus? Oder ist es wirklich das grüne Gewissen, das die Unternehmen treibt?

Das ist ein schmaler Grat. Man kann nicht mit Sicherheit sagen, ob es jedes Unternehmen ernst meint. Aber das wird sich schnell zeigen. Wir als Konsumenten haben mittlerweile die Informationshoheit. Nicht umsonst spricht man oft von Prosument, weil der Konsument immer mehr in die Produktion involviert ist und sehen will, wie alles vonstatten geht. Wir erleben gerade einen Umschwung, in dem Nachhaltigkeit Standard wird. Fast alle großen Firmen in Deutschland haben mittlerweile viel Geld in die Hand genommen, um sich in diesem Bereich aufzustellen. Auch hilft es Firmen, sich von anderen Unternehmen abzuheben. Das passiert nicht mehr über den Preis, sondern durch Qualität oder Themen wie Nachhaltigkeit. Ich glaube deshalb, dass Greenwashing bald der Vergangenheit angehören wird.

Mit Daniel Anthes sprach Vivian Micks. Dieses Interview ist ursprünglich auf n-tv erschienen.